Phorusgasse 8
Unlängst haben wir Traude Veran kennengelernt. Sie ist eine tolle Frau, über 80 Jahre alt, wohnt im Haus Wieden und schaut gerne aus dem Fenster. Als eines Tages das Haus vis-á-vis von ihr in der Phorusgasse 8 abgerissen wurde, beobachtete sie die Baustelle und wurde neugierig, was dieses Haus schon alles erlebt hatte. Also begann sie zu recherchieren. Sie nahm Kontakt zu den Urenkeln des ehemaligen Besitzers auf, die mittlerweile in Amerika leben und bekam ein Tagebuch zugeschickt. Aus all den Informationen schrieb sie drei Bücher, denn Traude Veran ist Schriftstellerin.
Im Frühjahr planen wir eine Lesung mit Traude Veran. Mit ihr zu Plaudern ist wie in einen See voller Geschichten einzutauchen. Geschichten aus dem Alltag, Geschichten über Brücken die ihr Leben prägten und die ein oder andere Geschichte zu Plätzen und Gebäuden der Wieden.
Wir haben Traude Veran gebeten, uns einen Einblick in ihre Werke zur Phorusgasse 8 zu geben:
Das Haus wurde vor 130 Jahren als Werkstättengebäude errichtet. Der Besitzer Moritz Hacker ließ dort elegante Silberwaren, wie Bestecke, Vasen, Kerzenleuchter etc. erzeugen und gelangte zu großem Reichtum. Als er hochbetagt starb, führten seine Söhne die Firma weiter. 1938 aber wurde die jüdische Familie enteignet und vertrieben, einige ihrer Mitglieder starben im KZ.
Die Überlebenden fanden eine neue Heimat in den USA. Ein Enkel von Moritz Hacker, Univ.-Prof. Friedrich Hacker, wurde Psychiater und erlangte durch seine Forschung über Gewalt und Aggression Weltruhm. Er und sein Bruder Hans blieben aber im Herzen Wiener und besuchten Österreich lange Zeit jedes Jahr. Hans Hacker kam 2019, knapp vor seinem Tod als fast Hundertjähriger, zum letzten Mal nach Wien. Er hat eine umfangreiche Familiengeschichte verfasst, die ich bearbeiten durfte.
Eigentlich interessierte ich mich zuerst nur für die Baustelle Phorusgasse 8 gegenüber meiner Wohnung. Fasziniert beobachtete ich, wie das Haus abgerissen wurde. Dann erfuhr ich von seiner bewegten und tragischen Geschichte und das führte letztlich dazu, dass ich drei Bücher darüber schrieb: Ein englisches nur für die Angehörigen, eines über meine Beobachtungen auf der Baustelle und eines über die Geschichte der Familie Hacker, die Titel der beiden letzteren:
Beobachtungen von gegenüber. Geschichte einer Baustelle
und
Silber-Hacker und seine Erben
Vom Bauwesen verstehe ich als Schriftstellerin natürlich „einen großen Schmarrn“, umso mehr aber von der Lyrik, besonders der japanischen. Hier eine Kostprobe:
Coronamärz
Wilde Plakatierer
sorgen für Bewegung
auf der Baustelle
halb abgerissen
winken Papierfetzen
in die Stille
den sensationellen Auftritt
der Band
wird es nicht geben